Kurfürstliches Kornhaus in Meißen – Vergangenheit und Zukunft

Denkschrift von Dr. Helge Landmann

Das um 1470,  Zug um Zug mit der Albrechtsburg errichtete Haus, war in seinen Anfängen als Wirtschafts- und Lagergebäude konzipiert. Inwiefern es zusätzlich Funktionen eines Marstalles zu übernehmen hatte, ist nicht bekannt. Immerhin deutet  die große Anzahl von Pferdeställen und Räumen für Bagage im Erdgeschoss auf eine solche tradierte Nutzung hin. In den Veränderungen der Herrschaftsverhältnisse – seit der sogenannten Leipziger Landesteilung von 1485 gingen die Brüder Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht formal eigene Wege – liegt der Grund, dass weder die Albrechtsburg noch das Kornhaus ihre eigentliche Aufgabe zu übernehmen hatten. Ihre Nutzung blieb fragmentarisch. Beinahe ein Befreiungsschlag war mithin die Inbesitznahme des Ensembles für die erste europäische Porzellanmanufaktur Augusts des Starken ab 1710. Diese Verwendung sicherte den Bestand, zwang ihm allerdings auch Veränderungen auf, die irreversibel waren und insbesondere im weitläufigen Kellergeschoss und nach Norden angrenzenden Hang Schuttberge von Meißner Porzellan hinterließen. Die Mehrzahl der Obergeschossräume des Kornhauses war zu dieser Zeit wohl der Lagerung von Porzellan vorbehalten. Niemals waren die Produktionsbedingungen in der Albrechtsburg ideal und so trachtet man schon im 18. Jahrhundert nach Neulösungen, wozu auch die Variante einer Ansiedlung im immer wieder vernachlässigten Kloster Heilig Kreuz um etwa 1730 gehört. Als nach 1860 die Porzellanmanufaktur an einen neuen Standort im Triebischtal verlegt wird, geht eine Ära zu Ende. Immer deutlicher wird zu dieser Zeit, dass sächsische Eigeninteressen nach dem Aderlass des Wiener Kongresses 1815 und der von Preußen ausgehenden nationalstaatlichen Bestrebungen einen weitaus geringeren Stellenwert besitzen. Wie ein Aufschrei gegen diese Entwicklung wirkt die Ausmalung des Schlosses mit Bildinhalten, die insbesondere die Geschichte der Wettiner seit dem Eroberungszug Heinrich I. im Jahre 929 herausstellen. 

Heinrichs Heerzug beförderte die Gründung der Markgrafschaft Meißen. Auf dem weit aufragenden Bergsporn an der Elbe kam es dabei zur seltenen Konzentration dreier Gewalten (kaiserlicher Burggraf, landesherrlicher Markgraf und Bischof) auf nicht viel mehr als 1,5 ha, die bei aller Unterschiedlichkeit geschichtlich auch immer den Einheitsgedanken als Markstein politischer Räson zu wahren hatte. Mithin entwickelte sich ein Wesensmerkmal sächsischer Handlungsweise und Mentalität, welches bis heute auf politische Entschei-dungsprozesse ausstrahlt.                                                                                                                                                           

Bei aller Vordergründigkeit der Albrechtsburg wird selbst das Kornhaus in die Welle einer beinahe trotzigen Rückbesinnung um 1879 einbezogen und mit Appartements und Suiten für den königlichen Hof sowie Kutscherwohnungen ausgestattet. Stallungen gab es schon vorher. Nur sehr selten kam allerdings die höfische Dependance zum Einsatz, dabei hatte man für den Fall des Falles mit dem neu errichteten Galeriebau sogar eine direkte Verbindung zwischen Kornhaus und Schloss geschaffen. Der Ausbau des Hauses selbst blieb sparsam. Nur mit leichten Ständerwänden trennte man die Wohnbereiche gegeneinander ab. Auch neue Fenster und Türen blieben ganz im Programm erprobter gründerzeitlicher – hier neogotischer und restaurativer – Formen.  Dazu gehören entsprechende Beschlagwerke an den Türen, Dacheindeckungen mit rautenförmig verlegten, verschieden engobierten Ziegeln und besonders bekrönten Firsten.

Einzig das großzügige Treppenhaus liefert Ansätze einer baukonstruktiven Neubesinnung. Schon um 1900 denkt man nutzungsseitig weniger an das Königshaus, sondern plant Beamtenwohnungen in der Belletage des alten Kornspeichers. 

Kornhaus, Meißen 2022

Die Not nach der Abdankung des Königs und dem verlorenen ersten Weltkrieg, mehr aber noch nach dem zweiten Weltkrieg mit seinen unendlichen Zerstörungen gerade in Dresden, ließ keinerlei Möglichkeit, eine andere als die gehabte Wohnnutzung im Kornhaus fortzuführen. Man war froh, den unendlichen Zug von Aussiedlern aus Schlesien und Flüchtlingen aus dem zerstörten Dresden bewältigen zu können. In dieser Zeit hatte Meißen eine nie dagewesene Einwohnerzahl von 35.000. Schlecht und recht verkraftet die Substanz des Kornhauses die außerordentliche Herausforderung. Auf einen haustechnischen Komfort war es von vornherein nur sehr spartanisch eingerichtet. Lediglich die Teile für die königliche Equipage hatten eine etwas ansprechendere Ausstattung. Es verwundert deshalb nicht, dass unter den sozialökonomischen Verhältnissen der DDR eine grundsätzliche bauliche Veränderung, mit zu erwartenden hohen Kosten, nicht ernsthaft erwogen wurde. Letztlich geriet das hochwertige – da im Kontext mit der kurfürstlichen Albrechtsburg stehende – Gebäude ins moralische „Aus“, noch ehe der physische Verschleiß es vollständig vernichtet hatte.

Das Objekt besitzt dabei Leitbildcharakter und gehört unzweifelhaft zum Ensemble der „Akropolis Sachsens“ über den Dächern der Bürgerstadt Meißen, andererseits bekam es, ob seiner völlig unpassenden Zuordnung, im Wohngebäudebestand der Kommune ein Stigma, welches es ökonomisch aber auch sozial und kulturell nicht handhaben lässt. Die noch im Vorhaben Pilotprojekt Meißen – Sanierungsvorhaben Historische Altstadt (Häntzsch 1991/ Landmann 1993) unter Erfassung denkmalpflegerischer Belange aufgeführten Nutzungs-empfehlungen belegen dies. Sie stehen noch immer im Kontext der damals bestehenden Wohnungsnot und konnten den übergreifenden landeskulturellen Wert nicht deutlich genug herauskehren. Der Einheitsvertrag von 1990 setzte mit der Aufrechnung der Altschulden der DDR auf die öffentlich verwaltete Wohnbausubstanz dem Eigenbesitz solcher Immobilien enge Grenzen. Eine Abgabe an den Freistaat Sachsen wäre die zwingende Option aus der geschichtlichen Tradition heraus gewesen, doch die Regierung Milbradt weist derartige Ersuchen zurück. Sie trennt sich gerade von „Altlasten“ an Schlössern und Gärten, die ihr zu kostenintensiv erscheinen. Der Verkauf an Privat verbleibt als einzig möglicher Entlastungsschlag für die mit dem Gebäude beinahe schicksalhaft verbundene Stadtentwicklungs- und -erneuerungsgesellschaft (SEEG), welche von der vormaligen Gebäudewirtschaft die städtischen Wohngebäude übernommen hat. Dabei ist der Glaube an die monetären Möglichkeiten privater Investoren aus Italien und Österreich von Erwartungen getragen, die sich spätestens mit der Finanzkrise des Jahres 2008 verflüchtigen. Seither ist auch die Planung eines 5-Sterne-Hotels auf dem Burgberg, für den freistaatlich und kommunal schon erhebliche Vorleistungen erbracht worden sind, obsolet. Das Auftauchen der Immobilie auf verschiedenen Angebotsportalen mit teils völlig aus dem Rahmen fallenden Kaufpreisvorstellungen verdeutlicht, auf welchem spekulativen Feld das Juwel sächsischer Bau-, Zivil- und Wirtschaftsgeschichte an dem ein Arnold von Westphalen und Matthäus Daniel Pöppelmann als Oberlandbaumeister zu Zeiten Hand angelegt haben, unterdessen angekommen ist. Nur mit Mühe und andauernden Ersatzvornahmen ist seitens der Kommune seit Jahren der Baubestand halbwegs zu sichern. Zwangsversteigerungstermine, verbunden mit einem politischen Hasardspiel, werden aber zur unerträglichen Peinlichkeit und ruinieren das Ansehen von Stadt und Land. 

Der Freistaat und seine Regierungskoalition scheinen sich des Symboles der Albrechtsburg und des Burgberges angesichts des 2029 ins Haus stehenden Jubiläums „1100 Jahre Meißen“ noch nicht umfänglich bewusst und überlassen die Interpretation der Geschichte manchmal Kräften, die sie sehr einseitig zu deuten gedenken. Deshalb hier der Text aus den Aufzeichnungen des sächsischen Chronisten, Bischof Thietmar von Merseburg: „Hier [als Teil der heutigen Stadt] ließ er [König Heinrich I.] einen nahe der Elbe gelegenen, mit dichtem Wald bestandenen Berg roden und gründete dort eine Burg, die er nach einem an der Nordseite vorbeifließenden Bach ‚Misni‘ nannte. So wie es Brauch ist, befestigte er [den Berg] mit Wehranlagen und legte eine Wachtruppe her …“ 

Wir feiern deshalb in wenigen Jahren zuvorderst die zur Gründung der Mark Meißen und des damit verbundenen Staatswesens entstandene Burg in ihrer historischen Ausprägung – nicht die der Stadt. Diese Nuance ist wichtig, um auch die Adresse klar zu bestimmen, an welche sich jedwede Vorstellung bezüglich der Entwicklung des Ensembles richten sollte. Es ist der Freistaat Sachsen, der in Verantwortung steht, nicht zuletzt deshalb, weil er in den zurückliegenden Jahren dieser Dimension realpolitischer Immobilienpolitik, die auch die Geschichte einbezieht, ausgewichen ist.  

Es wäre ein guter und in letzter Instanz unumgänglicher Schritt, das Kornhaus zum zentralen Ausführungsort der im Jahre 2029 stattfindenden 5. Sächsischen Landesausstellung in Meißen zu machen.  

Vorschlag 

Da die Albrechtsburg bestenfalls im Dachgeschoss erschließbare Sonderausstellungsfläche vorhält, deren Aktivierung aber weitreichende Eingriffe im hochwertigen und schon sanierten denkmalpflegerischen Bestand erforderlich macht, bedarf es alternativer Gedanken. Die Säle im 1. Obergeschoss, wie die Wohnräume im 2. OG, tragen andererseits aufwendige Bemalungen und sind teuer ausgestattet –  hier bietet sich eine Umnutzung nicht an. Insgesamt steht bei großen, nicht unbedingt wünschenswerten Anstrengungen – denn der Dachausbau ist in Denkmalobjekten generell und insbesondere bauphysikalisch problematisch – lediglich eine Fläche von ca. 400 – 600 m² für weitere Angebote zur Verfügung. Dabei sollte bedacht werden, dass es in keiner Weise nachhaltig wäre, eine Landesausstellung so zu konzipieren, dass sie sich nach einem Jahr erübrigt hat.

Die Bruttogeschossfläche des Kornhauses von rund 750 m² auf einer Etage; bei drei Vollgeschossen, einem Kellergeschoss, einem erhöhten Erdgeschoss und einem wenigstens über eine Ebene ausbaubaren Dachgeschoss, ergibt in der Summe mindestens 4.500 m². Diese Nutzfläche zu füllen, ohne durch burgbergfremden Besucherverkehr einen Verkehrsinfarkt zu erzeugen, setzt eine schon angedachte bzw. umgesetzte Logistik voraus. Diese besteht im durch die Meißner Stadtwerke errichteten Parkhaus und dem Schrägaufzug vom Fuße des Burgberges her.

Das Gebäude besitzt den Vorteil, dass es sich im Eingangsbereich des Burgbergplateaus befindet. Dadurch frequentieren Teile der anreisenden Besucher den begehrten Platzraum nur bedingt oder sogar von der nördlichen Hangseite kommend. Hier bietet sich aus Sicherheitsgründen ein weiterer Eingang/Ausgang, der auch eigenständige Präsentationen oder eine spezielle Clubszene im Kellergeschoss zulässt.

Das Erdgeschoss mit seinen überhohen Gewölbedecken (750 m²) sollte perspektivisch dem Weltkulturerbestandort Meißen vorbehalten sein. Hier die diesbezüglichen erweiterbaren Ausstellungen zur Porzellanherstellung im 18./19. Jahrhundert anzubieten, ist sinnfällig. Hier aber vor allem auch die Menschen hinter dem Porzellan ins Blickfeld zu rücken, wäre  für die ganze Stadt – die nach Identität verlangt – wünschenswert. Dabei wird sich herausstellen, dass die Beschäftigung mit dem weißen Gold tatsächlich Goldadern in ganz anderen, unerwarteten Wissenschafts- und Kulturebenen (u.a. in der Landesschule St. Afra) zu erschließen half, die unterdessen Ansehen in der Welt genießen. Eine Sammelstiftung Kulturregion Meißen, vergleichbar der Klassikstiftung Weimar (mit freistaatlicher Beteiligung) sollte dafür die strukturelle Basis schaffen.

Die drei Vollgeschosse (1.-3. OG) mit einer Fläche von ca. 2.250 m² sind der Dauerausstellung Landesgeschichte am Ort seiner Begründung mit dem Einstand 5. Sächsische Landesausstellung vorbehalten. Von hier aus ermöglicht sich auch der direkte Zugang zur Albrechtsburg, was in einem optimierten Gesamtkonzept interessant und ausbaufähig sein kann. Im Dachgeschoss bietet sich eine Präsentation des Architekten Yadegard Asisi‘s (vgl. Panometer Dresden) zur Entwicklung organischer Stadtstrukturen weltweit an. Entsprechende Vorgespräche sollten initiiert werden.
Durch sein Balkenwerk liefert das Geschoss ein gigantisch wirkendes Raumgefüge. Die Stadt Meißen hat natürlich bedingt und durch ihre besondere Entwicklung, die Naturraum und Landschaft in bezaubernder Weise vereint, ein Privileg, solch eine Schau anzubieten.          
Sie lockt in derartiger Verbindung auch zwangsläufig interessante und zu Zeiten des Klimawandels wichtige, städtebauliche Prozesse voranbringende Menschen ins Elbtal. Die TU Dresden, als bewährter Standort für die Ausbildung von Architekten und Stadtplanern, erfährt mithin eine sehr bereichernde Kooperation. Eine Stipendiatenakademie im Haus wäre eine Aufwertung, vergleichbare mit der Villa Massimo in Rom.

Es muss Ziel der Neukonzeption eines Gebäudes von der Bedeutung des Kornhauses in Meißen sein, zukünftig nicht nur Lokal- bzw. Binnengeschichte zu vermitteln, sondern durch eine vielfältig belebte Gesamtidee innovativ auf das ganze Plateau, die Stadt und den Freistaat auszustrahlen.

Dr. Helge Landmann

6. Dezember 2022

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